Chronologie Schaffung des Gedenkortes Güterbahnhof Moabit

Mehr als 20 Jahre hat es gedauert, bis der “Gedenkort Güterbahnhof Moabit” zur Erinnerung an die Verladungen Berliner Jüdinnen und Juden nach Riga, Auschwitz usw. geschaffen wurde.

1987
wurde das Mahnmal auf der Putlitzbrücke errichtet.

1996
beschäftigte sich der Historiker K. Schilde für das Heimatmuseum Tiergarten mit diesem Ort. Auf seine Nachfrage wies ihm Andreas Szagun anhand des Gleisplanes nach, dass die Militärrampe (Gleis 69) und die Ladestraße (Gleise 81 und 82) für die Verladung genutzt wurden.
Erläuterung:
Die Bundesregierung hatte der Deutschen Bahn auferlegt, nicht mehr benötigte Flächen gewinnbringend zu veräußern, um das große Defizit der DB abzubauen. Dabei kollidierten die Interessen der DB und der eigenen Planungshoheit insbes. für Bauten mit möglichst hoher Rendite, mit denen des Landes Berlin, hier vertreten durch das Bezirksamt Tiergarten von Berlin. Dem Gesetz entsprechend ging die Verantwortung an das BA Tiergarten.

1998
wurden Bebauungsplanverfahren für den gesamten Geländestreifen nördlich der Siemens- und Quitzowstraße eingeleitet. In diesem Zusammenhang forderte der damalige Baustadtrat Horst Porath, das betreffende Gebiet als historischen Ort zu erhalten.
Erläuterung:
1998 bat das Stadtplanungsamt Andreas Szagun und das Heimatmuseum Tiergarten um zusätzliche Information. 2000 führte dieses zu einer Zusammenarbeit mit dem von der Bahntochter Vivico beauftragten Gutachter Dr. Jochen Spielmann. Dieses Gutachten wurde dem Stadtplanungsamt erst 2004 vorgelegt. Daher hatte das Amt bereits 2002 Szagun direkt beauftragt, einen “Zwischenbericht über Deportationsgleise auf dem Güterbahnhof Moabit” zu erstellen. Dieser enthielt die wesentlichen Erkenntnisse über Lage und Funktion der bezeichneten Gleis- und Verschlusspläne des Güterbahnhofs Moabit bzw. seines Stellwerks “Moa”. Zu dem Zeitpunkt wurde der Güterbahnhof Grunewald (“Gleis 17”) noch für den meist benutzten “Deportationsbahnhof” für Berlin gehalten – gefolgt von Moabit und dem Anhalter Bahnhof. Eine Annahme, die von Dr. Spielmann angezweifelt wurde.
2003 bereitete das Stadtplanungsamt das Verfahren zur Unterschutzstellung der noch vorhandenen historischen Stellen als Denkmal vor. Nach dem damaligen Forschungsstand wurde nur die Zuwegung als Original angesehen. Da zeitgleich die Bauprojekte VZB (Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich / Eisenbahnachsenkreuz) und die Bebauung der nicht mehr benötigten Bahnflächen vorangetrieben wurden, “versandete” das Verfahren zur Unterschutzstellung. Jedoch wurde parallel zur Vorbereitung eines künstlerischen Wettbewerbs für einen “Mahnort als Teil einer Denkmaltopographie Berlins” ein Runder Tisch ins Leben gerufen – angesiedelt bei der Stiftung Topographie des Terrors. Am Runden Tisch beteiligt waren das Stadtplanungsamt, die zuständige Senatsverwaltung für Wissenschaft und Kultur und auch Herr Szagun.

2005
wurde der B-Plan für einen Baumarkt erstellt.
Erläuterung:
In dieser Zeit wurden zwar sowohl die Größe des Mahnmals und seine bauliche Einfassung als auch die Ausführung beschlossen und von den Investoren durchgeführt. Gleichzeitig wurden aber auch Teile der historischen Anlagen entfernt und überbaut: so z.B. die Spitze der Ladestraße mit einem neuen Überwerfungsbauwerk für die neuen Ringbahngütergleise und die charakteristische Brücke über die Zuwegung der Ladestraße zur Aufstellung eines großen Mobilkrans.
Zur Entlastung der Quitzowstraße wurde zeitgleich die Ellen-Epstein-Straße als neue Hauptverkehrsstraße über das Bahngelände gebaut – so wie im Flächennutzungsplan bzw. den Bebauungsplänen vorgesehen.
Bei diesen Arbeiten ging das westliche Ende der ehemaligen Militärrampe (Gleis 69) verloren.
Die alte Zuwegung zur Ladestraße wurde als Ausgleichsmaßnahme nach dem Naturschutzgesetz als neuer Weg bis zur Ellen-Epstein-Straße verlängert und mit jungen Linden bepflanzt. Ebenso wurden die Betoneinfassungen zu beiden Seiten des Gedenkortes gebaut.
Bedeutend für den Gedenkort wurde das ebenfalls 2005 erschienene Werk von Alfred Gottwaldt und Diana Schulle “Die Judendeportationen aus dem Dritten Reich 1941-1945”. Nach den bereits von Dr. Jochen Spielmann geäußerten Vermutungen stellte sich erneut die Frage nach der Rangfolge der Berliner Deportationsbahnhöfe.

2006
beauftragte daraufhin der Runde Tisch (Teilnehmer der ersten Stunde u.a. A. Szagun) Dres. A. Gottwald und D. Schulle mit einem Forschungsgutachten. Das Ergebnis bestätigte die Vermutungen, dass Moabit der zentrale “Deportationsbahnhof” für Berlin war.
Daraus entstand eine völlig neue Situation: Der vormals nur als Teil einer Denkmaltopographie wahrgenommene Ort erhielt eine viel größere Gewichtung, woraus sich geänderte Anforderungen an seine Gestaltung ergaben.
2007 wurde daher als Ergebnis der Arbeit des Runden Tisches die provisorische Gedenkstele Qitzowstraße eingeweiht.

2007
lässt der Investor für Stützwände zu den Nachbargrundstücken erstellen.
Die ungeklärte Finanzierungsfrage und die damit verbundene Verzögerung führte zu häufiger Vermüllung des geplanten Gedenkortes.
Die Bemühungen von Bürgerinnen und Bürgern und der Bezirksverordnetenversammlung gingen jedoch kontinuierlich weiter.

2010
beschließt die BVV Mitte, dass sich das BA Mitte für die Gestaltung einsetzen soll (Drucksache 1591/II).

2011
liegt die Vorlage zur Kenntnisnahme des BA in Form von Drucksache 1591/III vor.

2011
hatte sich die Initiative “Sie waren Nachbarn” gegründet, aus der 2015 ein Verein wurde. Sie hatte u.a. nach Straßen geordnete Listen über die aus Moabit deportierten Juden und Jüdinnen erarbeitet und ausgestellt.
Der Verein setzte sich von Beginn an sowohl für die Realisierung eines Gedenkortes ein, wo er z.B. ein Schild “Von hier fuhren die Züge ins Gas” anbrachte, als auch für die Kennzeichnung des Deportationsweges vom Sammellager Levetzowstraße bis zum Güterbahnhof Moabit.

2013
Beschluss BVV Mitte: Das BA soll einen Wettbewerb zur Gestaltung des Gedenkortes ausloben (Drucksache 1090/IV) – Bezug zu DS 1591/II aus 2010.

2013
stellte Andreas Szagun dem BA nochmals die Geschichte und die unternommenen Maßnahmen vor. Folge:

2014
begannen die Vorbereitungen für den künstlerischen Wettbewerb. In diesem Zusammenhang erstellte er ein weiteres Gutachten über den Forschungsstand des Ortes. In dieses flossen Erkenntnisse aus der zeitgenössischen Literatur aus dem 19. Jahrhundert über das damals verwendete Rampenbaumaterial ein, das damals kaum noch vorhanden war und damit eigenständig denkmalwürdig war.

2015
Lottomittel werden zur Gestaltung des Gedenkortes bereitgestellt.

2016
wurde der künstlerische Wettbewerb durchgeführt, den Zuschlag erhielt der Entwurf “Hain” des Büros Raumlabor als einer von zwei Ersten Preisen. Der zweite Erste Preis ging an Katharina Hohmann.

2016
Weg, Gedenkort und der Bereich vor der Deportationsrampe werden in das Denkmalverzeichnis des Landes Berlin eingetragen. Das Rampenbauwerk bildet die Grundstücksgrenze. Folge: Instandsetzungspflicht liegt bei den Grundstückseigentümern (z.B. Lidl).

2017
wurde der Gedenkort eingeweiht.

Fazit:
März 2016 war Abgabe, also 15 Jahre nach dem ersten “Zwischenbericht” und mehr als 20 Jahre nach der ersten Anfrage an das Heimatmuseum.
Die Einweihung des Gedenkortes warf die Frage nach der Markierung zumindest eines Weges vom Sammellager Levetzowstraße zum Güterbahnhof Moabit auf.
Zum Missbrauch der bei der Pogromnacht 1938 nur unwesentlich beschädigten großen Synagoge in der Levetzowstraße gibt es eine Dokumentation, mit der sich der Wissensstand um die Shoah in Moabit von Jahr zu Jahr erweitert.